Die Klavierwerke von Erkki Melartin
Dieses Mal wird wiederentdeckt, es wird lyrisch und folkloristisch.
Das Fachmagazin Fono Forum (06.11) beurteilte die Interpretation mit der Höchstzahl von fünf Sternen. RBB Kulturradio am 29.04.11 findet sie "großartig". Süddeutsche Zeitung (13.05.11): "Ein Turm" von Wolfgang Schreiber. Der Kulturspiegel (28.03.11): "Grüß vom Chamäleon" von Johannes Saltzwedel. Die Zeit (1.6.11): "Ein Ausdruckswunder"(Mirko Weber). Recording of the Month (MusicWeb International, Januar 12).
Überblick über die eingespielten Werke (als PDF).
Maria Lettbergs Gedanken zu dieser Aufnahme finden Sie im Interview weiter unten (hier auch als PDF).
Ein Gespräch mit Maria Lettberg
Wie und wann haben Sie die Klavierwerke von Erkki Melartin für sich entdeckt?
In der 90er Jahren hat mein Klavierstudium mich auch nach Helsinki geführt. Dort, in einem Konzert an der Sibelius Akademie, habe ich ein merkwürdiges Klavierwerk gehört, das sich anschließend einige Tage in meinem Kopf gedreht hat. Es war Der Traurige Garten von Erkki Melartin. Ich war ziemlich überrascht, dass ich von diesem Komponisten zuvor niemals gehört hatte, obwohl seine Klaviermusik so frisch, individuell (und absolut „finnisch“) klang. Damals habe ich mir gesagt: wenn du dich in der Zukunft mit der finnischen Musik beschäftigen solltest, mußt du unbedingt auch etwas von Melartin spielen.
Im Jahr 2007 habe ich eine Gesamtaufnahme auf 8 CDs von Alexander Skrjabins Klavierwerk fertiggestellt – eine wunderbare Reise, die 3 Jahre gedauert hat. Den größten Teil der Werke, die ich damals in Berlin für Deutschland Radio und Capriccio aufgenommen habe, habe auch in fünf Solo-Klavierrecitals, als „künstlerischer“ Teil meiner Promotion an der Sibelius Akademie, gespielt. Als ich im Jahr 2008 mit meiner Dissertation über die Interpretation von Skrjabins Musik im Gepäck aus Helsinki nach Deutschland zurückreiste, hatte ich auch einen Koffer mit Noten von Erkki Melartin dabei.
Wie ist diese Aufnahme überhaupt entstanden, warum wollen Sie „Klavierraritäten“ aufnehmen?
Schon während der Skrjabin-Aufnahme hat man mich häufiger gefragt: was kommt als Nächstes? Capriccio (bzw. dann Crystal) hat mir vorgeschlagen zwei CDs in der Serie Pianorarities zu machen. Ich hatte also die Freiheit, wieder selbst Musik zu wählen, die mich interessierte.
Mein erster Gedanke war Melartins Klavierwerk. Diese Idee hat mich auch gleich sehr inspiriert, weil ich es aufregend finde, etwas Neues, Unbekanntes (hier ganz besonders!) einzustudieren – und hier gab es nur wenige bzw. überhaupt keine anderen Aufnahmen.
Es gibt viel unbekannte oder vergessene Musik die absolut ungerechterweise im Staub des Notenarchivs liegt – das gravierendste Beispiel war natürlich einmal Johannes Sebastian Bach. Aber es gibt auch Komponisten die, die immer unbekannt blieben oder mit der Zeit nicht mehr gespielt wurden – und dies mit guten Gründen! – weil die Qualität und Individualität ihrer Musik nicht ausreichten.
Melartin war keine Neuerer wie Skrjabin oder Schönberg, er hat also nie die gleiche Anerkennung seiner komponistischen Begabung wie Grieg, Sibelius oder Tschaikowski, erfahren: aber seine Musik kann trotzdem Menschen überzeugen, verzaubern, bewegen, glücklich oder traurig machen. Sie ist aus meiner Sicht als Pianistin gut.
Wie entscheiden Sie sich, ob es sich lohnt, sich mit einem Werk näher zu beschäftigen?
Ich muss ein Stück immer am Klavier ausprobieren. Ohne Instrument kann ich natürlich die Noten analysieren; dadurch verstehe ich die musikalische Struktur und die Sprache, aber fühlen kann ich nur am Klavier und das Bauchgefühl ist mir sehr wichtig, weil ich genug Erfahrung und Kenntnisse habe, um meiner Intuition zu vertrauen.
Warum haben Sie sich wieder auf das Werk eines Komponisten beschränkt?
Ich bin überzeugt dass eine CD (wie ein Konzertprogramm) eine gewisse Geschlossenheit haben muß; es soll eine Einheit sein und nie nach Prinzipien wie „was spiele ich am besten“ ausgewählt werden! Mit Melartins CD wollte ich ganz einfach die Vielfalt dieses Komponisten zeigen. Für mich ist es im Moment am interessantesten, das Schaffen eines Komponisten sehr tief kennenzulernen. Damit erfasse ich alles besser – und ich glaube, dass mein Publikum die Musik dann auch besser verstehen wird. Das soll aber nicht heißen, dass es immer bei diesem Ansatz bleibt. Mir schweben z. B. für die Zukunft auch mehr programmatisch geprägte CDs vor, ganz abgesehen von meinen Konzerten, bei denen ich ohnehin in diese Richtung tendiere.
Was bedeutet es Ihnen, vor Publikum aufzutreten, im Vergleich zur Aufnahme?
Ich finde es viel einfacher, im Konzert aufzutreten. Die Aufnahmesituation provoziert einen teuflischen Perfektionszwang. Wenn man eine CD macht, denkt man, oder jedenfalls ich, doch irgendwie an die Ewigkeit – du kannst danach nichts mehr ändern. Die CDs leben gewissermaßen ein eigenes Leben – egal ob kurz oder lang. Ein Konzert existiert nur hier und jetzt (und dann in der Erinnerung); es geht viel mehr um das Menschliche, die Frage, ob der Funke zum Publikum überspringt, ob ich mit den Mitteln meines pianistischen Könnens den Menschen, die mir zuhören, etwas mitteilen kann.
Was aber macht nun die Musik Melartin für sie besonders und interessant?
Mir scheint, die finnische Kultur (so auch die Musik) stehen etwas abgesondert innerhalb Skandinaviens da. Das liegt vielleicht an der Sprache, der finnischen Volksmusik und Folklore (Kalevala) und auch der Geschichte, zu der die russischen Herrschaft gehörte, bevor die Finnen es schafften, sich zu befreien. Finnland wollte immer eigene Wege gehen und das kann man sehr deutlich in der finnischen Kultur spüren: vom finnischen Tango bis zu Einojuhani Rautavaaras Musik, von Mumin-Trollen bis zu Aki Kaurismäkis Filmen.
Zwar war Melartin zu seiner Zeit „der ewige Zweite“ (immerhin..), stets im Schatten des großen Jan Sibelius, mit dem er befreundet war und dem er seinen Traurigen Garten widmete. Bei allem Respekt für Sibelius´ symphonische Werke und sein Konzert für Geige und Orchester finde ich aber persönlich dessen Klavierwerke nicht so interessant und schöpferisch wie die Melartins. Der große Vorzug von Melartins Klaviermusik ist ihre Ausdrucksehrlichkeit und Spontaneität in Verbindung mit interessanten folkloristischen Elementen. Seine Klavierstücke sind meist Programmusik. Skandinavische Folklore: Volkslieder, Trolle, Hexen, Irrlichter; geheimnisvolle Naturbilder. Wald, Wind, Regen. Imaginäre musikalische Reisen (Griechenland, Italien, Japan) und Stimmungsbilder – Liebe, Einsamkeit, Verlust, Tod.
Vielleicht verspricht Melartin also die Möglichkeit, sich einen Schritt dem „Geheimnis der finnischen Seele“, oder doch zumindest den Eigenarten des Lebens in Finnland und seinen Traditionen, zu nähern.
Copyright © 2012 Maria Lettberg